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Zackes Textedition 4:
Auch virtuelles Papier ist geduldig. Darum gibt es jetzt eine weitere Ausgabe von
Texten, die ich schrieb, um sie hier zu präsentieren.
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01.12.00
U-Bahn:
Wer steigt in die U-Bahn, nur um mit ihr zu fahren und nicht, um irgendwo anzukommen?
Mit der S-Bahn kann man sich solche Fahrten leichter vorstellen. Man sieht die Stadt anders, als
von der Straße aus. In den frühen 80'ern gab es einen Film, der Stadtbahnbilder
hieß. Damals konnte niemand ahnen, daß diese Bahn bald wieder für die ganze Stadt
eine Bedeutung haben wird.
Was sieht man in einer Bahn, die sich meistens unter den Straßen und Plätzen
bewegt? Vielleicht gar nichts. Erst recht nicht, wenn man jeden Tag die selbe Strecke fährt,
und wenn die Zeit, welche man damit verbringt, zwar als unvermeidbar, aber im Grunde als nicht
existent empfunden wird. Bei manchen mag dieses Gefühl bis zum Feierabend andauern, doch das
hat nichts mit der U-Bahn zu tun.
Über die U1, die weite Strecken über Tage fährt, gibt es ein
erfolgreiches Musical. Diese als Türkenschleuder oder Orientexpress beschimpfte Linie, endet
jetzt wieder auf der prunkvoll hergerichteten Oberbaumbrücke. Manchmal blendet die Sonne so
sehr, daß man in der Tat kaum was sieht. Zum Erlernen des sehenden U-Bahnfahrens ist sie
bestens geeignet. Sie fährt zwar nicht überall hin, doch bekommt man die
unterschiedlichsten Bewohner dieser Stadt zu Gesicht. Türkische Mitbürger verkörpern
nun nicht mehr für jeden das Ende der abendländischen Zivilisation. Dieses liegt jetzt im
Osten. Auf ihrem Weg wird die U1 von Station zu Station westlicher. Die Durchschnittsmieten, die
auf den neuen Infodisplays noch nicht angezeigt werden, steigen kontinuierlich an. Wer im Umfeld
der Endstation Krumme Lanke wohnt, der hat es zu was gebracht.
Jede Linie hat etwas eigenes. Das merkt man, wenn man mal ausnahmsweise einen anderen
Weg nehmen muß, oder wenn man sich an eine neue Stecke gewöhnt hat und dann mal wieder
die alte fährt. Das ist mir schon aufgefallen, als die Mauer noch stand. Jetzt gibt es noch
ausgeprägtere Unterschiede. Man vergleiche nur die U5, die ausschließlich durch den Osten
fährt, mit der erwähnten U1. Die Menschen sind anders. Dies zu werten, wäre gemein.
Vielen geht es schlechter und nun will man ihnen glauben machen, sie hätten eben leider das
falsche Leben gelebt.
Ich erinnere mich an eine schöne Fahrt, im Jahre Eins. An einem Feiertag, mitten in
der Woche, Himmelfahrt oder irgend sowas. Es war Vormittag, ich stieg in der Schönhauser Allee
in die U2, fuhr nach Neukölln zurück. Der Zug stammte noch aus einem sozialistischen
Bruderland. Die Kinder trugen ihre Sonntagssachen. Auch die Erwachsenen hatten sich schick gemacht.
Es herrschte eine angenehm friedliche Stimmung. Die Gesichter sahen freundlich aus. Es war eben
kein normaler Tag. Dergleichen ist mir im Westen noch nie aufgefallen. Das war schön! Die
echten Ossies, nicht diese Möchtegern-Amerikaner, die haben liebenswürdige menschliche
Eigenschaften! Das erfährt jeder, der mit ihnen persönlich zu tun hat.
Was den besonderen Charakter jener ausmacht, die täglich mit der U7 unterwegs sind,
hab ich wohl vergessen. Von denen war ich einer. Einmal fuhr ich bis nach Spandau, nur um zu sehen,
wie das ist. Man sollte das mehrmalige Abfahren der ganzen Strecke, von Rudow bis nach Rathaus
Spandau als Strafe für mittlere Vergehen einführen. Über jeden Bahnhof
müßten ein Bericht von mindestens zehn Schreibmaschinenseiten bei der BVG abgeliefert
werden und wenn man ohne Fahrschein erwischt wird, kostet es 60,- Mark. Ich bekam einst mit,
daß so eine Delinquentin mit einem Tausender bezahlen wollte. Die Kontrolleure hatten leider
noch nicht genug eingenommen. Wie diese Geschichte ausging, weiß ich nicht. Womöglich
mußte diese Dame wirklich längere Zeit in der U7 bleiben. Dabei weiß man
spätestens hinter dem Mehringdamm nicht mehr, wo man eigentlich ist.
Vor zwei Wochen fuhr ich mit der U6 Richtung Tegel, bis zu den Borsigwerken. Ich
besuchte eine Veranstaltung des Arbeitsamtes in der Bambushalle. Auch da fährt die U-Bahn
gegen Ende der Strecke am Tageslicht. Beim Blick aus dem Fenster erfaßte mich ein
italienisches Gefühl. Urlaubstimmung kam auf. Es war so, als ob das Meer nicht weit wäre
und als ob in den Gärten Melonen wachsen würden. Dabei war der Sommer längst vorbei.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof nieselte es.
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02.12.00
Die gelbe Stadt:
Jemand spielt die Partita für Violine solo, BWV Nr. 1004. Die Musik kommt von
irgendwo. Schritte knirschen auf Kies. Vielleicht sind es meine? Kann der Mensch hier fliegen? Mir
scheint, als sähe ich alles noch von oben. Wie vorhin im Lifter, als jemand einen Vortrag
hielt.
Alle neueren Gebäude sind nach der Sonne ausgerichtet. Den Verlauf der Wege
versteht, wer weiß, wie sie entstanden sind. Erst gab es Trampelpfade, denen die Menschen aus
Gewohnheit folgten. Als sich diese nicht mehr änderten, wurden sie durch Wege ersetzt.
Dazwischen hat man Rasenflächen und Beete, Hügel und Teiche angelegt, Büsche und
Bäume gepflanzt. In dieser Stadt fühlt man sich der Natur sehr nah. Es gibt kaum den
anderswo üblichen Vandalismus.
Ich kann das Haus nicht finden, in dem die Musik gespielt wird. Doch es tut gut,
herumzulaufen. Nichts ist eingezäunt. Auch die Tiere sind frei. Sie vertragen sich. Anderswo
scheue Vögel sind zutraulich. Es ist ruhig, wie in einem Park, obwohl viele Menschen hier
wohnen. Ich falle niemandem auf. Ich fühle mich nicht fremd, dabei sieht mir dies jeder
an.
Diese Stadt ist so, wie ihre Musik. Ich bin heute das erste Mal hier, doch ich sehe sie
nicht zum ersten Mal. Immer wenn ich diese Musik höre, sehe ich sie. Ich bin diesen Wegen
schon öfter gefolgt und habe dabei wie jetzt meine Orientierung verloren. Das bedeutet kein
Ungemach. Hier ist es überall schön, egal wo man ist.
Jedesmal fallen mir die Ziergitter an den Fenstern und Balkonen auf. Sie scheinen
handgeschmiedet zu sein. Ihre dunkelgrüne Farbe hebt sich von den warmgelben Wänden ab.
An einigen Gittern ranken blühende Gewächse. Sahen die Gebäude zu Zeiten der Musik
so aus? Die Stadt wirkt ein wenig mediterran. Das war damals Mode.
Mir scheint, ich selber trage die Musik mit mir herum. Wie soll ich da herausfinden, von
wo sie kommt? Ich frage jemand, ich werde nicht verstanden. Als ich Bach sage, strahlt mir eine
Freundlichkeit entgegen, die mich verlegen macht. Ich krame in all meinen Sprachkenntnissen. Der
Name Bach bleibt das einzige Wort, das mir soetwas ähnliches wie Verständigung
ermöglicht. Ich sage langsam, Johann Sebstian Bach und nicke vorsichtig, bevor ich ein wenig
nachdenklich weitergehe.
Ich weiß, wie ich hergekommen bin, nicht aber, wo ich bin. Wir bekamen auf dem Flug
ein Schlafmittel, damit wir nichts mitkriegen. Bin ich noch nicht wach? Träume ich die Stadt?
Kann ein Traum so wirklich sein? - Ich soll mir alles ansehen und herausfinden, ob ich mit der
Stadt und ihren Menschen klarkomme. Bald kommt der Lifter. Ich kann dableiben oder
zurückkehren. Wie werde ich mich entscheiden?
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04.12.00
Der Traum vom :
Ich bin früh aufgestanden. Es war noch nicht Vier Uhr. Ich hatte einen seltsamen
Traum, den ich gleich aufschrieb. Ich erwachte im Traum. Ich träumte, es wird Tag, ich stehe
auf, ich frühstücke, und ich setze mich an meinen Schreibtisch. Es war ein ganz normaler
. Am Abend gehe ich ganz normal zu Bett und schlafe ein. Am nächsten Morgen wache ich
wieder auf. Nichts scheint außergewöhnlich zu sein, doch es war schon wieder
. Mein Traum ging so immer weiter. Ich schlief ein, ich erwachte und es war
.
Heute ist doch ? Das beunruhigt mich ein wenig. Bin ich immer noch in meinem Traum? Ich habe ein paar
Leute beiläufig nach dem Wochentag gefragt, doch das half mir nicht. Ich kann mich nicht mehr
verläßlich erinnern, was gestern für ein Tag war. Hätte ich das etwa auch
fragen sollen? Mir könnte völlig egal sein, was für ein Tag gerade ist. Ich denke
meistens nicht daran. Aber vielleicht werde ich mich morgen wieder nicht erinnern können,
welcher Tag heute war. Vielleicht ist morgen wieder .
Warum ist es so schwer, jemanden zu finden, der behauptet, heute wäre
. Dann wären wir einen Tag weiter und ich könnte meinen Traum einen Traum sein
lassen.
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05.12.00
Fangopackung,
fast eine ganz wahre Geschichte:
Auf die Schilderung einer Diagnose oder gar Anamnese, die mir die Applikation einer
solchermaßen irdischen Anwendung einbrachte, verzichte ich. Abgesehen von der Heilwirkung, war
es ganz nett. Meine Therapeutin vertritt die Ruhe in Person und ihre Praxis ist eine eigene Welt.
Kein richtiges Licht, dafür edles Halogen, angenehme Düfte, frische Luftionen von einer
Salzkristall-Leuchte und überall lebende Pflanzen. Nach dem winzigen Paar
Kindersandälchen im Flur, wollte ich immer fragen. Vielleicht sollen sie
Mißverständnissen vorbeugen.
Ich hatte vorher keine Ahnung und war darauf gefaßt, mit irgendwelchem Schlamm
eingesaut zu werden. Doch das Verfahren ähnelt mehr einem Schnellimbiss. Die Packung ist so
eine Art Spinat-Börek ohne Teig und etwas größer. Wenn es gar ist, wird es aus der
Mikrowelle gezogen und dann legt man sich schnell darauf, damit es nicht auskühlt. Mit der
Zeit wird einem davon warm. Danach gab es immer eine wirklich sanfte, wohltuend heilende
Massage.
Doch einmal vergaß sie mich einfach. Ich wartete nicht, deswegen fiel es mir nicht
auf. Anfänglich hörte ich die nahe Kirchturmuhr schlagen. Ich zählte mit, aber die
Schläge machten keinen Sinn für mich. Ich wußte nur, die Zeit verging. Waren es
schon Stunden? Waren es Tage, Monate, gar Jahre? Als sie sich an mich erinnerte und nach mir sieht,
findet sie nur noch mein Gerippe.
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10.12.00
Das Weihnachtsfraktal:
Es war einmal ein Newton-Fraktal, das hatte gerade nichts zu tun, weil wieder
Weihnachten war. Es langweilte sich sehr. Langeweile vergrößert die Unendlichkeit des
mathematischen Raumes, dachte es und fing an, zu iterieren. Es wurde größer und
größer und blieb doch dauernd nur das, was es war, ein Fraktal, das sich langweilt.
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Datum
Story:
Neulich, plötzlich, ääh...
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Designed and made by Zacke. December 2000. |
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